Offener Brief an Erfurter Bürgermeister und Ratsmitglieder
Offener Brief an die Stadtratsmitglieder der Stadt Erfurt
gegen die Förderung des Katholikentags 2024 in Erfurt mit 1,2 Millionen €
11. Gebot: Du sollst Deinen Kirchentag selbst bezahlen!
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Stadtratsmitglieder,
demnächst werden Sie über die Bewerbung der Stadt Erfurt für die Ausrichtung des Katholikentags 2024 abstimmen. Hierzu möchten wir Ihnen gern ein paar zusätzliche Informationen und Argumente liefern, damit Sie Ihre Entscheidung umfassend informiert treffen können. Der Anteil der Katholiken an der Erfurter Bevölkerung (6,8 %) ist ähnlich niedrig wie in Leipzig (4,3 %), dem Austragungsort des Katholikentags 2016. Sie sollten daher auf die dort gemachten Erfahrungen zurückgreifen.
1,2 Millionen sind absolut unverhältnismäßig
Der städtische Haushalt sieht für die kulturelle Projektförderung im Jahr 2018 ein Volumen von insgesamt 68.000 Euro vor. Und nun kommt eine der reichsten Institutionen der Welt und beantragt für ein 5-tägiges Spektakel das 17,6-fache dessen, was die Stadt sonst im ganzen Jahr zur Förderung von Projekten freier Träger ausgibt. Allein das Bistum Erfurt hat ein Vermögen von mindestens 323,5 Millionen Euro, während die Stadt Erfurt auf rund 137 Millionen Euro Schulden sitzt. Bei einem Förderantrag ist immer zu prüfen, ob der Begünstigte die Finanzierung nicht selbst tragen kann. „Wer die Musik bestellt, bezahlt sie auch!“ – Diesen einfachen Grundsatz sollten Sie beherzigen.
Toleranz: gerne – Förderung: nein!
Lassen Sie sich von der Kirche (und den Thüringer Ministerpräsidenten!) auch nicht durch markige Sprüche blenden, wonach Erfurt „ein Zeichen der Toleranz“ setzen sollte und der Katholikentag eine „Chance zur Ökumene“ wäre. Ob die beiden Kirchen zur Ökumene finden hat den Staat nicht zu interessieren! Er muss sich weltanschaulich neutral verhalten! „Toleranz“ verlangt von Ihnen und uns nur, dass die Kirchen ihre Kirchentage durchführen dürfen, aber nicht, dass die öffentliche Hand sie auch noch bezuschussen müsste! Erst recht nicht in einer Stadt mit fast 80 Prozent Konfessionsfreien!
Milchmädchenrechnung: Katholikentage sind für den Stadtsäckel ein Verlustgeschäft!
Die Kirche behauptet immer wieder, Katholikentage würden sich für die Städte rechnen. „Umwegrendite“ heißt das Zauberwort – doch es ist fauler Zauber. Angeblich würde die Stadt durch die Ausgaben der Besucher mehr Einnehmen als ausgeben.
Diese Annahme ist schlicht falsch: Umsätze sind nicht gleichbedeutend mit Gewinnen und vor allem sind Umsätze in der Stadt nicht gleichbedeutend mit Geldrückflüssen an die Stadt. Von Umsätzen in der Stadt profitiert die Stadt selbst auf direktem Wege nur durch die Gewerbesteuer. Das Kulturdezernat der Stadt Leipzig geht jedoch davon aus, dass der Katholikentag 2016 nur zu Steuermehreinnahmen in Höhe von 180.000 € geführt hat.
40 % Umsatzrückgang statt Millionenumsätzen!
Selbst wenn man nicht auf die Rückflüsse in den Stadtsäckel abstellen und stattdessen die behauptete Umsatzsteigerung im Gewerbe zur Rechtfertigung für einen städtischen Kirchentagszuschuss genügen lassen wollte, so gilt es Folgendes zu beachten:
1. Nach einer Marktforschungsstudie der Hochschule Bremen über die regionalwirtschaftlichen Auswirkungen des 32. Evangelischen Kirchentags 2009 verzeichnete der Innenstadteinzelhandel sogar ein deutliches Umsatzminus von bis zu 40 % (S.44). Grund hierfür ist, dass viele Einwohner, die an dem Missionierungsspektakel bewusst nicht teilnehmen wollen, der Innenstadt lieber fern bleiben. Auch beim letzten Katholikentag 2018 in Münster beklagte der Einzelhandel Verluste. Ein Plus verzeichneten lediglich die Hotelerie und Gastronomie – doch dann sollen die sich lieber an der Finanzierung des Events beteiligen, wie es bei Stadtfesten üblich ist.
2. Die in der Presse vermeldeten Millionenumsätze beruhen nicht auf Erhebungen, sondern auf reiner Spekulation. Die Schätzungen über die Besucherausgaben sind künstlich aufgeblasen: Kirchen- und Katholikentagsbesucher sind zum Großteil Low-Budget-Touristen, die in Turnhallen und Schulen und nicht in Hotels übernachten. Dies hatte auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) eingeräumt: Auf dessen eigener Homepage konnte man lesen, dass im Durchschnitt Dauergäste 35 Euro und Tagesgäste sogar nur 15 Euro pro Tag ausgeben. Dieser Weblink wurde inzwischen wohlweißlich entfernt. Als Beleg möge Ihnen aber die Beschlussvorlage der Leipziger Stadtverwaltung aus 2014 dienen. Darin wurde im Jahr 2014 der „gängige Wert von 35,- Euro pro Tag und Gast zugrunde gelegt.“
Erst nachdem die Teilnehmerzahl nur halb so groß wie erwartet ausfiel, hat das Leipziger Kulturdezernat die Besucherzahlen aufgehübscht und sie mit den Tagespauschalen multipliziert, die normale oder geschäftliche Touristen im Durchschnitt ausgeben: 185,50 Euro für Hotelgäste bzw. 48,50 Euro für Touristen in Privat- oder Billigquartieren. Legt man jedoch die ursprünglichen Tagessätze zu Grunde, ergibt sich, dass die Ausgaben der Besucher und somit die Umsätze nicht einmal halb so hoch sind wie behauptet. Auch dies bestätigte sich jüngst in Münster („Kirchentagsbesucher sind sehr preisbewusst“).
3. Jeder Politiker weiß, dass es unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten effektiver ist, in langfristige und nachhaltige Projekte zu investieren, statt mittels hoher Einmalförderungen den Konsum kurzfristig zu steigern.
4. Als Fazit lässt sich festhalten: Die Behauptung, ein Kirchentag lohne sich finanziell für die Stadt, beruht auf einer Milchmädchenrechnung. Die Gewerbesteuereinnahmen können den beantragten Barzuschuss nicht ausgleichen und die Wirtschaft kann mit weniger Geld nachhaltiger gefördert werden.
Katholikentag für alle?
Die Finanzierung des Kirchentags durch öffentliche Gelder ist für die öffentliche Hand nicht nur ein finanzielles Verlustgeschäft, sie verstößt auch gegen die verfassungsrechtlich geforderte weltanschauliche Neutralität des Staates.
Denn es stimmt eben nicht – wie vom ZdK behauptet – dass die Themen auf Katholikentagen „regelmäßig auch für die Gesellschaft als Ganzes von Bedeutung“ seien. Im Gegenteil: Debatten, die weltanschaulich übergreifend relevant sind (wie z.B. die Globalisierungsproblematik), werden zwar gerne in den Fokus der Medien gestellt. Sie bilden aber nur einen kleinen Teil des Programms. Natürlich sind „über 1.000 Programmpunkte“ eine stattliche Zahl. Doch den größten Anteil hieran bilden Bibelarbeit, christliche Gesänge und Messen. Es heißt nicht umsonst „KATHOLIKENtag“ und nicht etwa „BÜRGERtag“. Und nicht umsonst spricht der Veranstalter selbst von einem „Fest des Glaubens“. Es genügt auch nicht zu betonen, dass die Veranstaltungen formal allen Menschen offen stünden. Nach der eigenen Statistik des Katholikentags sind weniger als 3 % der Besucher keine Christen.
Der Anspruch der Kirche, für alle Menschen in Deutschland zu sprechen, zeugt von zunehmender Realitätsferne! Immer mehr Menschen treten bewusst aus der Kirche aus, weil sie die Bevormundung durch Vertreter der christlichen Kirchen ablehnen. Für diese Menschen ist es ein Schlag ins Gesicht, wenn Sie durch den gießkannenartig ausgeschütteten Blankoscheck einer bestimmten Religion buchstäblich ihren Segen erteilen.
Religion ist nicht vergleichbar mit Sport- und Kulturförderung
Häufig wird unserer Forderung, die Subventionierung von Kirchentagen einzustellen, entgegengehalten, dass der Staat dann auch Kultur und Sport nicht fördern dürfe. Doch diese Ansicht verkennt, dass Religionen und Weltanschauungen einen Spezialfall bilden: Während § 2 Absatz 2 der Thüringer Kommunalordnung die Schaffung kultureller Einrichtungen ausdrücklich erwähnt – würde die Förderung konfessioneller Glaubensfeste dem Verfassungsgrundsatz der Trennung von Staat und Kirche widersprechen: „Der Gedanke der Fürsorge des Staates in Glaubensangelegenheiten ist dem Grundgesetz fremd.“ (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Band 44, S. 37 [52 f.])
Auch das Bundesverwaltungsgericht hat hervorgehoben, dass das Neutralitätsgebot mit wachsender kultureller und religiöser Vielfalt und bei einem sich vergrößernden Anteil bekenntnisloser Menschen zunehmend an Bedeutung gewinne. Die tradierte Praxis der einseitigen Bevorzugung der christlichen Kirchen muss daher einer konsequenten Trennung von Staat und Kirche weichen. Auch die Säkularisation ist eine Säule unserer Werteordnung – höhlen Sie die weltanschauliche Neutralität nicht aus, indem Sie das Grundgesetz gerade da missachten, wo es besonders darauf ankommt: Bei der Finanzierung!
Daher fordern wir mit unserer von der Giordano-Bruno-Stiftung unterstützten Kunstaktion die Einhaltung des 11. Gebots: „Du sollst Deinen Kirchentag selbst bezahlen!“
Vorbild Münster: Kirchentag auch ohne Barzuschuss möglich!
Sie sollten der Versuchung widerstehen, in einen „Durchwink“-Modus zu verfallen und ohne kritische Prüfung des Antrags dem Katholikentag 2024 einen Blankoscheck auszustellen.
Dass es möglich ist, sich dem Durchwinken zu verweigern, als Stadtrat eigene reflektierte Entscheidungen zu treffen und verantwortlich gegenüber der eigenen Stadt zu handeln, hat der Stadtrat von Münster bewiesen.
Im März 2015 lehnte er die beantragte städtische Förderung des dort stattfindenden Katholikentags 2018 in Höhe von 1,5 Millionen € ab. Angesichts der Schuldensituation der Stadt Münster hielt es der Stadtrat für unverantwortlich, diesen Zuschuss zu gewähren. Die letztendlich gewährten kostenlosen Sachleistungen sind zwar immer noch eine verfassungswidrige Privilegierung, da andere Veranstalter beispielsweisefür die Überlassung der Messehalle und ein Nahverkehrsticket selbst bezahlen müssen. Es zeigte sich aber, dass der Katholikentag auch nur mit der Hälfte der beantragten Summe an Sachleistungen durchgeführt werden kann – wenigstens dies solten sie in Erwägung ziehen.
Wir appellieren daher an Sie:
Statt einen Katholikentagszuschuss in Millionenhöhe zu gewähren, nutzen Sie das Geld besser für diejenigen, die – im Gegensatz zur katholischen Kirche – keines haben! Anstatt bloß weitere Endlosdebatten auf dem Kirchentag zu finanzieren, regen Sie den sozialen Wohnungsbau an oder unterstützen Sie die bunte freie Kulturszene. Bedarf für das Geld gibt es in Erfurt wahrlich genug!
Pressesprecher der Kunstaktion "Das 11. Gebot":
Maximilian Steinhaus 015 22 / 99 39 401 steinhaus@11tes-gebot.de Offener Brief [pdf]